FOTOGRAFIE

Kunstfotografie & Lomografie

Schnittstellen und Unterschiede in der künstlerischen Praxis

Kunstfotografie oder künstlerische Fotografie wird zumeist als Gegenpol zu kommerzieller bzw. vor allem zu dokumentarischer Fotografie begriffen: Als eine Fotografie, die auf eine künstlerische Aussage abzielt und nicht „nur“ dem Zweck eines bestimmten Auftraggebers oder der „objektiven“ Repräsentation einer bestimmten Situation.

Lomografie in der deutschen Schreibweise ist von dem englischen Namen „Lomography“ abgeleitet, der heute in etwa so viel wie „experimentelle Fotografie“ mit Analogkameras meint. „Lomography“ ist ein Firmenname. Unter diesem Begriff vertreibt ein österreichsches Unternehmen mittlerweile weltweit Nachbauten historischer analoger Kameras, Toy-Kameras, Objektive sowie Filme.

Was zeichnet Kunst-Fotografien aus?

Aus meiner Sicht ist der Begriff an sich schon problematisch. Wenn man Kunstfotografie nicht inhaltlich, sondern nur über seine „Zweckfreiheit“ beziehungsweise die künstlerische Vision des Fotografen fassen kann, könnte ein und dasselbe Foto entweder ein Kunstfotografie oder aber ein kommerzielles oder dokumentarisches Erzeugnis sein. Eine Straßenszene, mit der ich als Fotograf eine bestimmte Stimmung einfangen wollte, könnte seitens der Rezipienten durchaus als ein dokumentarisches Zeugnis gelesen werden. Man mag dafür Joseph Stieglitz‘ berühmte Fotografie „The Steerage“ als Beispiel nehmen. Aus der Beschreibung von Stieglitz ist klar erkennbar, dass er das Foto mit künstlerischem, nicht mit dokumentarischem Auge aufnahm. Dennoch ist es auch ein visuelles Zeugnis einer Transatlantikpassage im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts.

Zugleich ist es mit der „Objektivität“ der Fotografie so eine Sache. Ursprünglich, das ist richtig, war oft davon die Rede, dass Fotografie die Wirklichkeit objektiv einfange. Diese Aussage steht aber in direktem Zusammenhang mit der Tatsache, dass zuvor Malerei das einzige Medium war, in dem etwas visuell repräsentiert werden konnte. Darum schien es gerade den Zeitgenossen, dass Fotografie objektiv sei, weil – verkürzt formuliert – nicht Pinsel, Farben und ein individuell malender Künstler dazwischen standen. Dieses ganze Thema ist jedoch sehr komplex, lassen wir es hier also lieber beiseite…

Mein Ansatz in der Kunstfotografie

Wenn Sie die Beschreibungen von Stieglitz zur Entstehung des Fotos an Bord des Transatlantikdampfers lesen, so lesen Sie in ungefähr auch eine Beschreibung dessen, was mich bei der Auswahl von Motiven motiviert: Es ist eine Mischung aus dem Zusammenspiel des Ausschnitts – also der Komposition – in geometischen Figuren, Farben bzw. Licht- und Schattenspiel einerseits und der Atmosphäre andererseits.

Was die Atmosphäre angeht, so geht es mir gleichermaßen um das, was – nach meiner Wahrnehmung – vom Ort und seinen soziokulturellen Bedingungen auszugehen scheint, wie um meine ganz privaten Assoziationen. Wenn wir über abstrakte Fotografie sprechen, so geht es mir primär tatsächlich nur um das interessante Zusammenspiel verschiedener Formen in der Komposition.

In experimentellen Fotografien wiederum kommen alle diese Aspekte zusammen. Damit meine ich vor allem „Spielereien“ mit Doppelbelichtungen, „echten“ (d.h. nicht durch Nachbearbeitung entstandenen) Vignetten, Körnung abgelaufener Filme und dergleichen. Experimentell ist das Ganze insofern, als es wirklich keine Garantie gibt, dass sich ein bestimmtes Ergebnis X einstellt. Vielmehr gibt es bei all diesen Faktoren natürlich Erfahrungswerte und technische Rahmenbedingungen, letztlich ist das Endergebnis aber nie vorhersehbar. Um nur ein Beispiel zu geben: Je nach Filmmaterial und dessen Lagerung über die Zeit verhalten sich abgelaufene Filme ganz unterschiedlich, sodass generelle Erfahrungswerte keine Ableitung des Ergebnisses zulassen.

Was ist „Lomografie“?

Lomografie ist die Kunst des Fotografierens mit technisch unzureichenden Kameras – so könnte man es wohl auf den Punkt bringen. Begründet wurde ein ganzer Trend mit der „Lomografischen Gesellschaft“, die sich Anfang der 1990er Jahren in Wien gründete. Wenn Sie sich fragen, wie es zu dem Namen „Lomografie“ kam – der leitet sich ab von der LOMO LC-1, einem sowjetischen Nachbau der japanischen Kleinbildkamera Cosina CX-1. Da der sowjetische Nachbau aufgrund einiger Qualitätsmängel in manchen Situationen unberechenbare Ergebnisse lieferte, galt er zwar als minderwertig. Doch in künstlerischen Kreisen gewann die Kleinbildkamera gerade darum an Popularität. Es entwickelte sich ein einzigartiger, spontaner und experimenteller Fotografiestil: die Lomografie. Im Gründungsmanifest der Wiener Lomographischen Gesellschaft (die hinter „Lomography“ steht) sind sogar 10 Goldene Regeln der Lomografie festgehalten. Diese besagen unter anderem auch, dass man aus ungewöhnlichen Blickwinkeln, ohne durch den Sucher zu schauen und ohne jeden Plan oder Vorgedanken einfach „draufhalten“ solle.

Obwohl ich jeden, der diesen Regeln folgt, respektiere – schließlich ist es ja seine künstlerische Freiheit – folge ich selbst diesen Regeln nur in Teilen … und nehme mir gewissermaßen das Recht heraus, die Regeln, die unter anderem das Nicht-Existieren von Regeln postulieren, zu brechen und doch nach gewissen Regeln zu fotografieren. (Puh, das ist jetzt aber ganz schön verdreht!)

Warum? Ich bin der festen Überzeugung, dass das Ergebnis, wenn man die lomographischen Regeln für bare Münze nimmt und ohne jeden Plan (man könnte es auch Bildidee nennen) agiert, nur im Ausnahmefall schön wird in dem Sinne, dass man es gerne anschaut. Das Ergebnis wird dasselbe sein, wie wie Oma in den 1980ern eine Busreise nach Paris unternommen hat und ihre Schnappschüsse mit nach Hause brachte. Der einzige Unterschied liegt dann darin, dass, wenn Oma uns stolz das Bild von Opa vorm Eiffelturm zeigt, auf dem die Spitze des Eiffelturms ebenso fehlt wie Opas Füße, Oma gerne Füße und Turmspitze drauf gehabt hätte, es ihr aber misslungen ist. Der Lomograf hingegen sagt: Wunderbar, genauso wollte ich es haben, diese Sponaneität …!

Ich habe grundsätzlich grobe Bildideen, und ich suche die Komposition. Das Ergebnis bleibt trotzdem weitreichend dem Zufall überlassen; es ist aber kein reines Zufallsprodukt, sondern eine Art Wette zwischen der Willkür der jeweiligen Kamera und des verwendeten Filmmaterials und meinem Wissen über beides und wie es sich unter bestimmten Bedingungen verhält.

Zudem arbeite ich nicht nur analog. Erstens arbeite ich genauso oft mit ganz regulären Digitalkameras. Zweitens nutze ich bei der Analogfotografie hybride Verfahren. Zum einen kann ich derzeit kein eigenes Fotolabor nutzen, was schon mal einen wichtigen Schritt aus der Hand gibt. Zum anderen nutze ich auch Digitalisate der Abzüge. Bearbeiten tue ich, unabhängig von analog oder digital, nur minimal. Im Wesentlichen beschränken sich meine Bearbeitungen auf Korrekturen von Ausschnitt, Drehungen, Kontrast, Belichtung, Farbtemperatur sowie Transformation von Farbe in Schwarzweiß.

Lomografie und die Firma „Lomography“

Viele kritisieren die Firma „Lomography“: Sie verkaufe billige Toy Cameras zu völlig überzogenen Preisen. Das ist vermutlich gar nicht mal verkehrt. Aber trotzdem muss man Lomography einiges zugute halten.

Erstens, sie haben nachdrücklich zum Analogtrend beigetragen und damit auch dazu, dass die Beschaffung von Filmmaterial, die Filmentwicklung und Abzüge wieder auf einem Niveau sind, dass analoge Fotografie für Otto Normalverbraucher einigermaßen erschwinglich ist. Zu diesem Trend gehört auch die Schaffung einer entsprechenden Online-Community.

Zweitens, sie haben mit den „Art Lenses“ (Petzval, Daguerreotype Achromat u.a.), dem Nachbau klassischer, historischer Objektive einige wirklich interessante künstlerische Instrumente geschaffen.

Drittens, sie bieten in Wien ein Fotolabor, das auf hohem Niveau arbeitet, was Fotografen, die kein eigenes Labor haben, erspart, ihre kostbaren Rollen in die zweifelhaften Hände von Budni und Co. zu geben. Mittlerweile gibt es vielen in größeren Städten auch schon wieder gute Labore, die zu normalen Preisen arbeiten. Aber ohne den Hype um Lomography wäre es wahrscheinlich soweit gar nicht gekommen.

Viertens, sie haben unzählige verschiedene Analogfilme entwickelt und auf den Markt gebracht, die wirklich interessant sind und künstlerisch zu einem halbwegs akzeptablen Preis vieles ermöglichen.

Und die als „Toy Cameras“ verunglimpften, eigentlich technisch minderwertigen Kameras wie die Diana, Diana Mini, Diana F+ und die Lomoinstant-Kameras … ja, die Lomo-Kameras sind überteuert. Aber erstens tragen sie diesen Hype mit, und zweitens macht es wirklich viel Spaß, damit zu arbeiten. Natürlich kann man sich alternativ auch die Originale antiquarisch beschaffen, wenn man mag. Aber ich finde es wirklich nicht so schlimm, wenn „Lomography“ hier abschöpft – sie haben insgesamt, das ist jedenfalls meine Meinung, weit mehr Positives als Negatives für die Fotografie getan.

Kunstfotografie und Lomografie – Schnittstellen

Grundsätzlich kann man sagen: Lomografie ist ein Teil der künstlerischen Fotografie, wenn die entsprechenden Kameras mit künstlerischer Absicht eingesetzt werden. Dabei gibt es natürlich Grauzonen und Kontroversen. Wer etwa „nur“ Schnappschüsse von seinen Freunden auf Partys oder im Urlaub macht, ohne irgendwelche Hintergedanken oder Intentionen – betreibt derjenige Kunstfotografie? Ich würde behaupten: nein. Der überzeugte Lomograf würde wahrscheinlich sagen: ja.

Oft wird seitens eher technisch orientierter Fotografen eingewandt: Die Qualität der Kameras sei zu schlecht, das sei keine Kunst, sondern einfach Schrott. Dagegen würde ich einwenden, dass jene Fotografen, deren Foto bis ins letzte Pixel technisch vollendet ist, eigentlich auch kein Kunstwerk präsentieren, sondern allenfalls ein technisches Meisterwerk. Künstlerisch ist der Blick, die Absicht, die Atmosphäre, aber nicht die Frage der Linsenvollkommenheit oder der frames per second. Ich persönlich sehe ähnliche Probleme mit zu Tode optimierten Sonnenuntergängen, die vielleicht unter Kitschfreunden eine große Anhängerschaft finden, aber dank Photoshop am Ende wenig mit dem ursprünglichen Bild zu tun haben und auch keine neue, eigene Aussage schaffen. Dann schon lieber der reine Zufall der Extrem-Lomografen. Aber das ist natürlich immer eine individuelle Frage…