Neue Kulte und Religionshass
Menschen reagieren zunehmend allergisch auf alles Christliche. Religion insgesamt hat es gerade schwer im Westen, und das hat auch damit zu tun, dass sich ein massiver „säkularer Kult“ ausbreitet. Was ist das überhaupt für ein Kult, der sich da ausbreitet? Ein Einstieg in die westliche Gesellschaft der Gegenwart anhand der Religionsfrage.
Dieser Essay stellt eine Vorarbeit zu einer Buchpublikation zur neuen Ideologie des Westens dar. Die Gedanken haben insofern eher Skizzencharakter und werden sicherlich noch korrigiert, erweitert und neu arrangiert werden.

Kürzlich publizierte ich auf Tiktok ein Video unter dem Titel „Stolz vereint unter dem Regenbogen“. Darin beginne ich mit den Worten: „Ich bin natürlich nicht die Erste, die darauf aufmerksam macht: ‚Pride‘, ‚Stolz‘, ist eigentlich eine Todsünde.“
Im weiteren Verlauf des Videos geht es eigentlich weniger um Kirche oder um Sünde; vielmehr diente der Verweis auf die Todsünde „Stolz“ dazu, deutlich zu machen, dass für Jahrhunderte in christlich geprägten Zivilisationen „Stolz“ nichts Gutes war, und es irgendwie einigermaßen erstaunlich ist, dass wir unter diesem Begriff nun irgendetwas zelebrieren (müssen).
Der eigentliche Gedanke des in Frage stehenden Videos war etwa so: Im ursprünglichen Kontext war noch einigermaßen klar, wer da warum „stolz“ sein wollte – nämlich in einer Reaktion auf eine faktische Diskriminierung. Wohingegen heute der Begriff samt seiner Symbolik dergestalt ausgedehnt wurde, dass er alles umfasst – was dann den ganzen Stolz-Gedanken irgendwie, sagen wir mal vorsichtig, zweifelhaft macht.
Ich will nicht ausschließen, dass dieser Gedanke in dem Video nicht hinreichend klar wurde, denn Tiktok ist nicht unbedingt die Plattform für komplexe Inhalte. Doch das ist vielleicht für diesen Beitrag gar nicht wichtig, da die Reaktionen, um die es mir geht, gar nicht erst auf irgendeine konkrete inhaltliche Aussage abhoben.
Es waren eigentlich nur zwei Kommentare, um die es geht. Der erste lautete sinngemäß „als das Wort Todsünde fiel, also bei etwa Sekunde 5, war ich raus“. Der zweite verwies darauf, dass es unerhört sei, in diesem Kontext überhaupt mit dem Begriff „Todsünde“ zu operieren. Beginnen wir mit dem ersten Kommentar.
„Als das Wort Todsünde fiel, war ich raus“
Ich hätte den Kommentar vielleicht irgendwie nachvollziehen können, wenn ich nun im Folgenden mit dem Argument der Todsünde alle Minderheiten verdammt hätte und ihnen die sichere Hölle vorausgesagt.
Doch selbst dann: Als Mensch, der sich ernsthaft mit einer Frage auseinandersetzt, könnte man sich vielleicht auch Positionen anhören, die man für absurd hält. Mindestens lernt man daraus nämlich, was diese Menschen denken. Ich höre mir regelmäßig Beiträge von Klimaaktivisten, Veganer-Missionaren und „social warriors“ aller Couleur an. Ich halte die vorgebrachten Inhalte und Gedanken wahrscheinlich zu 98 % für Blödsinn. Doch nur dadurch, dass ich mich dem Ganzen aussetze, verstehe ich, was in deren Köpfen vor sich geht – und das bedeutet auch zu verstehen, was gerade kulturell und politisch in der westlichen Welt passiert.
Hinzu kommt, dass ja in den meisten dieser eigentümlichen (Teil-)Bewegungen ein wahrer Kern steckt, dieser wird nur entweder absurd überhöht oder falsche Schlüsse daraus gezogen – und in den meisten Fällen beides. So ist zum Beispiel der Hinweis darauf, dass ein Großteil der Probleme von Ländern Afrikas, Lateinamerikas und anderen mindestens auch eine Folge kolonialer Ausbeutung ist, zweifellos richtig.
Bloß sind die Schlüsse der Aktivisten falsch und zudem ironischerweise selbst das beste Beispiel für die Fortschreibung kolonialen Denkens, indem suggeriert wird, man könne sie nur aus ihrem Leben „erretten“, indem man sie in unsere Welt importiert oder ihnen mindestens die unsrige in Form unserer „Werte“ exportiert. (Ich stelle diese Behauptung hier bloß auf, muss sie aber an anderer Stelle erläutern, da dieser Gedanke thematisch nicht hierhergehört.)
Fakt ist: Nur, wenn wir uns auch die Gegenseite anhören, verstehen wir (a) wie sie denken, (b) wo und warum sie falsch liegen und (c) wo ihre Gedanken eine gewisse Berechtigung haben. Und übrigens wird man in aller Regel feststellen, dass jeder auch noch so absurde Gedanke irgendwo von einem Funken Wahrheit ausgegangen ist, der als gemeinsame Basis für ein ernsthaftes Gespräch fungieren kann.
Auf ein bloßes Stichwort hin „raus zu sein“ ist natürlich aber nichts anderes als eine Diskursverweigerung. Und diese ist symptomatisch für das, was wir derzeit erleben: Wenn mir etwas Unwohlsein verursacht, zum Beispiel, weil es dissonant zu meinem sonstigen Denken ist, will ich es nicht hören. Denn der höchste Zweck des Lebens ist offenbar nun, dass wir uns möglichst gut fühlen.
Das gilt leider unabhängig von der politischen Orientierung und ist meiner Meinung nach das Grundübel unserer Zeit: Das Gefühl, nicht die Vernunft regiert – und zwar auch und gerade bei denen, die glauben, der Vernunft zu folgen. Das Problem stellt sich jedoch auf der einen und der anderen Seite des tiefen sozialen Grabens anders dar. Und der Gerechtigkeit halber und weil es sich für eine ordentliche Analyse gehört, wollen wir uns beide Seiten anschauen, auch wenn uns vor allem die eine Seite späterhin beschäftigen wird.
DIE ANTAGONISTEN TEILEN EIN PROBLEM
Beginnen wir mit der „kommunistischen Gefahr“, die die politische „Rechte“ überall wittert, und an deren Stelle sie „common sense“ setzen will. Diese “kommunistische Gefahr” ist im Grunde nichts anderes als das „Follow the science“ und verwandter Ideen seitens der politischen „Linken“.
Das Ende der Orientierung im politischen Raum
Ich will nun zunächst erklären, warum ich „Linke“ und „Rechte“ in Anführungszeichen gebrauche. Ich bin überzeugt, dass wir zwar eine gewisse Spaltung in eher konservative und eher links-progressive Positionen sehen, die entfernt dem klassischen Links-Rechts-Spektrum ähneln.
Ich bin aber auch überzeugt, dass die tiefere Spaltung die zwischen emotional geleiteten und vernunftgeleiteten Akteuren ist, die wiederum bestimmte Positionen vertreten. Ein Kommunist, der für einen konstruktiven Austausch von Argumenten offen ist – das gibt es durchaus –, stellt überhaupt kein Problem dar. Ein Rechtskonservativer, der für einen konstruktiven Austausch von Argumenten offen ist – das gibt es durchaus –, stellt ebenso wenig ein Problem dar.
Ein Problem stellt dar, wenn jemand sagt: „Das Selbstbestimmungsrecht der Frau an ihrem eigenen Körper bietet keinerlei Grundlage für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen“ – und erntet hysterisches Gebrüll. Ein Problem stellt dar, wenn jemand sagt: „Wir müssen Facharbeiter aus dem Ausland ins Land lassen“, – und erntet hysterisches Gebrüll. Leider ist beides Alltag, und es ist diese Spaltung, die in diskursfähige und diskursunfähige Individuen, die eigentlich wichtiger ist als die zwischen den politischen Lagern.
Hinzu kommt, dass diese politischen Lager sich eigentlich längst aufgelöst haben: Wer heute nicht die bedingungslose Öffnung der Grenzen gutheißt, wer weiterhin beherzt „Negerkuss“ sagt, wer nicht auch dem Einhorn eine eigene Toilette zugestehen will und Schwangerschaftsabbrüche nicht völlig normal und unbedenklich findet, ist ein Nazi. Wer meint, dass der Islam an und für sich kein Problem darstellt und dass es in der AfD wirklich das eine oder andere „Problemkind“ gibt, der ist linksextrem und mainstreamhöriges Schaf.
Dabei sind die meisten „Rechtsextremisten“ von heute Libertäre und ganz gewöhnliche Konservative. Und man muss keinen blauen Kult betreiben und Trump zum Messias erheben, um dem Mainstream gegenüber kritisch zu bleiben. Es gibt viel mehr Nuancen, als die Menschen wahrhaben wollen, aber dadurch, dass alles zu „Schwarz“ oder „Weiß“ wird, sind auch Attribuierungen zur politischen Rechten oder Linken völlig unzuverlässig geworden.
Entsprechend möchte ich im folgenden stattdessen „Oppositionelle“ für diejenigen gebrauchen, die heute zumeist als „rechts“ tituliert werden, die sich aber weniger in einer irgendwie „rechten Gesinnung“ einig sind als darin, dass sie den Weg des Mainstreams ablehnen. Als „Establishment-Anhänger“ begreife ich alle, die im Wesentlichen den Kurs des politischen Establishments gutheißen, einschließlich jener radikalen Minderheit von „Wokisten“, die sich teils in autonomen Kreisen und Aktivistengruppen, teils, in ihrer etablierteren Form in Parteien wie den Grünen, der Linken oder Volt finden.
Es ist strenggenommen ein Problem, sie alle unter einen Schirm zusammenzufassen, denn auf den ersten Blick haben Friedrich Merz und ein krakeelender Klimakleber wenig gemein. Und auch unter scheinbar ähnlichen Gruppen gibt es teils erheblichen Dissens, teils aber auch Überlappungen ganz unterschiedlicher Subkulturen. Die Zusammenhänge sind äußerst komplex: Man müsste die Geldflüsse an NGOs ebenso studieren wie die konkreten Interessen, die die CDU, die SPD und die Grünen vertreten, um zu einem ganz konkreten Bild davon zu kommen, warum die teils dissentierenden Gruppen durchaus Teil ein und desselben Block sein können. Ich werde dies an späterer Stelle versuchen nachzuholen.
Im späteren Verlauf dieses Beitrags wird es hauptsächlich um die kondensierte Form des Kultischen gehen, wie wir sie am strengsten bei den „Wokisten“ finden. Darunter vereint sich eine Ideologie, die sich auf der inhaltlichen Seite in geteilten, radikalen Überzeugungen zu den Themen Gender, Anti-Rassismus und Klima manifestiert. Die Establishment-Anhänger tragen solche Ideen zu einem größeren oder geringeren Teil mindestens mit, sind aber ganz unterschiedlich stark involviert. Hinzu kommt natürlich das Mitläufertum, dass sich aktuell gar nicht genau beziffern lässt. Mit anderen Worten: Es ist kompliziert. Für den Rest des Aufsatzes wollen wir vor allem die reinste, extreme kultische Form des Wokismus als Referenz benutzen, wohlwissend, dass es so einfach nicht ist.
Kommunistische Gefahr und „Mainstream-Schafe“
Zunächst jedoch kurz zurück zu dem Ausgangsproblem, dass sich die Abkehr von der Rationalität und die Hinwendung zum Gefühl durchaus durch die gesamte Gesellschaft zieht. Dies ist zweifellos mindestens in Teilen auf die Dominanz des (Bewegt-)Bildes gegenüber der Schriftsprache in den Medien zurückzuführen.
Ein großes Problem auf der Seite der Oppositionellen ist, dass sich eine Teilmenge in ebendemselbem Verhalten ergeht, dass sie der Gegenseite vorwirft: Sie will keine Argumente hören und diskreditiert jeden Dissens dadurch, dass dem Gegenüber vorgeworfen wird, ein „Schlafschaf“ zu sein – in der freundlichsten Variante.
Man muss natürlich dabei beachten, dass auch die Gruppe der Oppositionellen, wie oben schon beschrieben, überhaupt nicht homogen ist – was sich übrigens schon bei den Corona-Demonstrationen zeigte. Vom Libertären, der den Bürger vor staatlichen Übergriffen geschützt sehen will, über Menschen aus der alternativen, oft ökologischen und/oder esoterischen Szene und klassischen Konservativen bis hin zum echten (Neo-)Nazi ist alles dabei. Einig ist man sich in der Regel vor allem darin, dass das derzeitige Establishment in eine autoritäre Richtung driftet, die von ökonomischen Kräften außerhalb der eigentlichen politischen Kreise gesteuert wird. Dass diese ökonomischen Kreise – Großkonzerne, Oligarchen und selbsternannte „Philanthropen“ – eine zusehends gefährliche Eigendynamik entwickelt haben, war übrigens vor 20 Jahren in den damals „linken Kreisen“ noch gar keine Verschwörungstheorie, sondern eine ziemlich alltägliche Einsicht, ebenso wie die Existenz einer gefährlichen Pharmalobby.
Zugegeben: Der Begriff „Deep State“ klingt schön geheimnisvoll und lädt dazu ein, „verschwörerisch“ interpretiert zu werden – und sicherlich gibt es eine Reihe Oppositioneller, die sich das viel geheimnisvoller vorstellen, als es in Wirklichkeit ist: Es geht um die ganz handfesten ökonomischen Interessen einiger weniger, die auf Kosten der vielen realisiert werden sollen in der schönen neuen Weltordnung, die sich dieses Akteursnetzwerk zurechtgesponnen hat. Die Oppositionellen sind sich einig in einem: Dass sie diese Weltordnung nicht wollen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig.
Zurück jedoch zur Frage der Vernunft: Besiegen wird man ebenjene Klasse der Akteure aber nicht, indem man beharrlich jedem „Mainstream-Schaf!“ oder „Linksgrün-versiffter Kommunist!“ entgegenschreit, sondern durch kluges Taktieren.
Ebendarum ist es auch unsinnig, Elon Musk und Donald Trump zu verteufeln (wie es auch einige Oppositionelle tun), weil sie „auch nur Milliardäre sind, die uns alles wegnehmen wollen“, angeblich „kontrollierte Opposition“ und Teil desselben bösen Komplexes ist, der die Welt der Machtvollen repräsentiert. Richtig ist natürlich, dass auch diese Akteure ihre eigenen Ziele haben. Und dass sie auch nicht nur Glorreiches in die Welt bringen. Nur Fakt ist auch: Wer die Mächtigen entmachten will, braucht jemanden, der das kann. Auf die Volksaufstände wartet man besser nicht. Also sollte man sich freuen, wenn die Interessen einiger Reicher und Mächtiger mit den eigenen Positionen ein Stück weit auf derselben Linie liegen, um ein gemeinsames Problem zu lösen.
(Ja, das haben die Gegner der Kommunisten auch gedacht, als sie sich mit Hitler verbündeten. Das ist ein berechtigter Hinweis. Ich würde auch jederzeit dafür votieren, sich schleunigst von Trump abzuwenden, sollte er wider Erwarten zu Mord und Totschlag übergehen. Bislang sehe ich aber noch keine Anzeichen dafür, dass Trump demokratiezersetzender wirkt als das, was uns unter der Regierung der Demokraten erwartet hätte, im Gegenteil. Trotzdem: Wachsam soll man immer sein, und blinde Gefolgschaft schadet nur.)
Der „Kult der Vernunft und der Werte“
Kommen wir nun zu jenem sekulären Kult, der auch den Hintergrund – so denke ich – für den so stark um sich greifenden Hass gegen Religionen und insbesondere gegen das Christentum bildet. Und natürlich für alle andere Probleme, die unsere westlichen Gesellschaften derzeit umtreiben. Dafür beziehen wir uns, wie schon oben erwähnt, auf die Kultisten in ihrer kondensiertesten Form, die wir hier mal der Einfachheithalber unter dem Begriff „Wokisten“ zusammenfassen.
Dieser Kult ist nicht „kommunistisch“
Viele machen aus meiner Sicht den Fehler, dass sie die aktuelle Ideologie als „kommunistisch“ oder „linksextrem“ betiteln. George Soros, Klaus Schwab und Bill Gates – die für viele die Gesichter der bösen neuen Weltordnung sind – sind bestimmt alles Mögliche, aber keine Kommunisten. Zwar ist es richtig, dass sich die neue Ideologie und insbesondere der radikal Wokismus in den linken, progressiven Parteien festgesetzt hat, und es ist auch korrekt, dass sich viele der Aktivisten in einer kommunistischen Denktradition verorten. Es ist ebenfalls zutreffend, dass diese Ideologie viele Elemente autoritärer kommunistischer Systeme aufweisen. Das allein macht das Ganze aber noch nicht kommunistisch. Die Verbindungen zwischen Kommunismus und Sozialismus, der entsprechenden linken Denktradition und der aktuellen Ideologie ist hochgradig komplex und verdient zweifellos eine Untersuchung.
Für den vorliegenden Zweck mag folgende Diagnose genügen: Die Finanzierung und Unterstützung der Establishment-Anhänger einschließlich der radikalen Wokisten erfolgt durch Strukturen, die keinesfalls von kommunistischen Ideen beseelt sind, sondern allein von ihrem eigenen ökonomischen Vorteil und vielleicht zum Teil auch von ganz schnödem Größenwahn. Selbst, wenn also der eine oder andere Aktivist sich als Trotzkist begreift, ist er doch am Ende Instrument in einem gesellschaftlichen Prozess des Totalumbaus, der einem ganz anderen Ziel dient – denn am Ende dieses Prozesses steht nicht etwa, dass alle faktisch gleich sind und gleiche Rechte haben, sondern dass faktisch alle gleichermaßen genau die Rechte haben, die ihnen zugebilligt werden von denjenigen, die den Prozess derzeit steuern und in deren Händen sich alles Kapital konzentrieren wird.
Denn wenn wir alle auf unseren materiellen Besitz verzichten und von unserem basalen Grundeinkommen leben, von welchem wir die Abonnements für all das zahlen, was wir nunmehr nur noch nutzen und nicht länger besitzen … dann liegt alle Macht und alles Geld in der Hand derjenigen, die diese Plattformen steuern und derer, die uns unser Geld zuteilen (oder entziehen) können. Aufgrund der enormen Machtkonzentration in Händen einiger weniger wird dies von vielen zu Recht als „Neo-Feudalismus“ oder „Technofeudalismus“ (Yanis Varoufakis) bezeichnet. Nichts könnte vom Kommunismus weiter entfernt sein. Es sind die Auswüchse eines außer Rand und Band geratenen Kapitalismus.
Vernunft, Werte, Wissenschaft: blinkende „Follow me“-Zeichen
Nun kann freilich so ein Kult nicht im luftleeren Raum schweben, und genau deshalb versucht man ja auch seitens der Kritiker so manisch, das ganze Unterfangen als „kommunistisch“ einzustufen, damit man irgendeine Verortung für das hat, was wir beobachten. Das macht aber die Zuordnung noch nicht korrekt.
Freilich: Jeder Kult braucht eine Glaubensgrundlage. Etwas, woran man unerschütterlich glauben kann. Im modernen westlichen Kult sind das Vernunft, Wissenschaft und Werte, als eine Art von Heiliger Dreifaltigkeit – auch sie sind im Wesentlichen eines, kommen aber in drei verschiedenen „Aggregatszuständen“ daher. Die Vernunft ist die alles legitimierende Kraft; die Werte sind ihr Ausfluss für das Zusammenleben; die Wissenschaft ist die kanonisierte Form der Vernunft, die auf uns durch ihre Priester, die Wissenschaftler, kommt.
Natürlich hat nichts davon irgendetwas mit dem zu tun, was Vernunft, Wissenschaft und Werte eigentlich bedeuten. Man hat eine Art „Kult der Vernunft“ erschaffen. In Wirklichkeit folgen sie jedoch nicht der Vernunft, sondern einem faden Abglanz derselben.
Auch das ist ein weites Feld, doch einige Worte dazu sind hier angebracht. Wir sprechen zwar so, als sei die Vernunft etwas, dem man „folgen“ könne; doch Vernunft ist ja das Erkenntnisvermögen des Menschen, das sich notwendigerweise prozessual vollzieht – es ist die Art und Weise, wie wir selbst zu bestimmten Schlüssen kommen. Das ist etwas prinzipiell Anderes, als einer Sache zu folgen, etwa der Lehre einer bestimmten Kirche oder dem, was sich meinem Gefühl spontan eingibt.
Was die Absolutisten der Vernunft aktuell betreiben, ist alles andere als vernünftig: Sie nehmen eine Version dessen, was ist oder was sein sollte, die ihnen von außen angetragen wurde, als wahr an, da diejenigen, die diese Position vorgestellt haben, „Experten“ in dieser Sache sind, sie selber aber nicht. Etwaige Einwände des eigenen „gesunden Menschenverstands“ – also der praktischen Vernunft auch des Nicht-Experten (der doch als solcher tatsächlich auch über Vernunft, nur allenfalls über bestimmtes Faktenwissen nicht verfügt) – werden weist der Wokist mit dem Verweis auf die Nicht-Expertise umgehend zurück. Sein Bewusstsein lässt also das kritische Hinterfragen des „Experten“ gar nicht mehr zu. Das aber ist kein vernünftiges Denken mehr, es ist religiöses Denken – denn die eigene Vernunft wird ja gar nicht mehr tätig, alles ruht auf dem Glauben an den angeblichen Expertenstatus Dritter.
Dem entspricht natürlich ein Vorgang, der mindestens ebenso interessant zu untersuchen wäre: Eine Art Kanonisierung des wissenschaftlichen Wissens, eines Status Quo zum Zeitpunkt X von Expertengruppe Y, die keinen nennenswerten Dissens mehr zulässt und somit ebenfalls dazu führt, dass Wissenschaft re-religiosifiziert und re-mythifiziert wird, nachdem ein jahrhundertelanger Prozess sie gerade aus dem mythisch-religiösen Denken herausgelöst hatte. (Wir sehen das besonders drastisch mit Blick auf Fragen des Klimawandels.)
Entsprechend zitieren nun Menschen reihenweise Studien, die genau das belegen, was sie glauben, und diskreditieren jede abweichende Meinung und entsprechende Untersuchungen als Misinformation und Desinformation. Doch wie ich schon sagte: Dieses Phänomen ist längst nicht begrenzt auf die Gläubigen der neuen Religion, es funktioniert in umgekehrter Richtung oft genauso und ist eigentlich ein generelles Symptom unserer Zeit.
Neues mythisches und religiöses Bewusstsein vs. Mythos und Religion
Wichtig ist, wie sich die Reaktion auf alles, was nicht den aktuellen Glaubenssätzen entspricht, äußert. Einzelne Worte fungieren hier pars pro toto als Stellvertreter für das Böse (das Andere des Guten).
Und eines dieser Dinge, die in unserer Gesellschaft – und ich möchte fast sagen, in beiden Lagern – keinesfalls mehr akzeptabel sind, ist Religion im herkömmlichen Sinne. Besonders schlimm erwischt es dabei das Christentum.
Zwar gibt es auch Menschen, die den Islam ablehnen, doch ist mindestens auf Seiten der selbsternannten „Progressiven“ die Hemmschwelle hier höher, da zwei Prinzipien fundamental kollidieren: das Gebot zu bedingungsloser Toleranz und die Ablehnung alles Transzendenten jenseits des Glaubens an die grenzenlose Selbstentfaltung des Individuums und die sich daraus ergebende vergöttlichte Vielfalt – was sich alles vermeintlich aus der Vernunft selbst ergibt. Dies dämpft den ablehnenden Impuls mit Blick auf den Islam etwas ab.
Was das Judentum angeht, so ist klar, dass aus historischen Gründen eine ablehnende Grundhaltung gesellschaftlich sanktioniert ist. Buddhismus und Hinduismus haben den „Vorteil“, dass sie im Westen im Wesentlichen als esoterische Systeme importiert wurden, die nach Geschmack und Bedarf in das eigene Leben „spirituell“ inkorporiert wurden. Sie profitieren also gewissermaßen von der Ignoranz des westlichen Publikums.
Es bleibt also vor allem das Christentum als Objekt der Verachtung, zumal es Europa und den Westen maßgeblich kulturell geprägt hat und damit in das Modell der hassenswerten „patriarchalen weißen Gesellschaft“ hineinpressbar wird. Aber man darf sich nichts vormachen: Konfrontiert mit den Realitäten anderer Religionen, deren praktischer Glaubensausübungen und Glaubenssätzen wären die Anhänger der modernen Religion des Welterrettung und der Vielfalt genauso intolerant gegenüber ihnen allen. Zu recht haben sich Konservative über die Initiative „Queers for Palestine“ lustig gemacht, weil natürlich die weit überwiegende Zahl der palästinensischen Muslime die Idee, dass sie mit der LGBTQIA+-Community im selben Boot der Marginalisierung sitzen, weit von sich weisen würden.
Gerade darum ist übrigens die Ablehnung des Islams in einigen Teilen der konservativen Zirkel westlicher Gesellschaften so besonders unverständlich: Lebensweltlich haben etwa ultrakonservative Christen deutlich mehr mit dem durchschnittlichen muslimischen Gläubigen gemeinsam als mit den Anhängern der neuen Vielfalts- und Weltrettungsreligion.
Wie dem auch sei, so ist der Kommentar zu meinem Video ein gutes Beispiel, wie das mythische Denken hier pars pro toto ein ganzes Gedankenkonstrukt aufruft: Ich höre „Todsünde“ und sehe sofort die Gesamtheit des Christentums in seiner postulierten Schlechtigkeit vor meinem geistigen Auge aufsteigen. Darin ist keine Nuance möglich: „Todsünde“ wird zur Abbreviatur für das Böse schlechthin – alles was folgt oder an Kontext darum herumsteht, ist instantan irrelevant. (Das Wirkprinzip ist übrigens im Prinzip dasselbe wie auch beim „Negerkuss“ und anderen nun verbotenen Wörtern. Auch da wird man automatisch zum Rassisten, Rechtsextremen und zur persona non grata.)
„Todsünde ist kein kulturelles Konzept“
Ich will nun auf den zweiten Kommentar auf dem zum Beginn dieses Essays erwähnten Videos eingehen. Hier ergab sich der folgende kurze Austausch.
Auf den Hinweis, man könne oder dürfe nicht mit dem Begriff „Todsünde“ operieren, erwiderte ich, dass dieser als kulturelles Konzept, das Europa maßgeblich geprägt hat, durchaus eine interessante Analysekategorie darstellt. Daraufhin entgegnete der Nutzer:
„Todsünde ist kein kulturelles Konzept, es ist eine Erfindung der Kirche, um Menschen Angst zu machen und sie zu unterwerfen.“
Woraufhin ich anmerkte:
„Und Kirche ist keine kulturelle Erscheinung? Mir ist klar, dass Dir das Konzept der Todsünde nicht gefällt, aber das ist in diesem Kontext eigentlich nicht relevant.“
Er:
„Dass Dir das egal ist, ist mir schon klar, aber das ist mir auch völlig egal.“
Mit anderen Worten: Etwas, was ihm nicht gefällt, wird als etwas Nicht-Kulturelles angesehen, was natürlich schon ein fundamentales Missverständnis dessen offenbart, was „Kultur“ ist. Ich etwa halte Klimaaktivisten und ihre Ideologie für eine Gefahr für gesellschaftliche Kohäsion und vor allem: für die Freiheit. Dennoch handelt es sich zweifellos um ein kulturelles Phänomen.
Der kurze Austausch offenbart neben einem Missverständnis des Kulturbegriffs aber auch eine atemberaubende Unreflektiertheit und letztlich vermutlich sprachliches Unvermögen: Denn mein Einwand, dass seine Sicht auf den Begriff der Todsünde irrelevant ist, war ja eine sachliche Aussage: Für die zu erörternde Frage spielte – wie ich gerade noch einmal erläutert habe – die individuelle Bewertung eines Begriffs beziehungsweise des durch ihn Bezeichneten schlicht keine Rolle. Verstanden wurde meine Aussage aber als ein: „Deine Meinung ist mir egal“, die mit einem kindischen „Mir doch egal, dass dir das egal ist!“ quittiert wurde. Das ist natürlich schlicht der intellektuelle Status Quo unserer Gesellschaften und erst recht deren digitalen Abdrucks.
Doch erkennen wir in diesem Kommentar wiederum die Magie des Wortes: Auch hier ruft das Wort „Todsünde“ sofort einen gesamten Bilderkomplex des Diabolischen auf, in deren Folge es zu einem eigentlich vernunft- und sachbasierten Diskurs (was eigentlich ein „weißer Schimmel“ ist!) gar nicht mehr kommt.
Zunehmender Hass auf das Christentum
Dies sind die Symptome der Gegenwart, sie erklären aber noch nichts. Und ich muss in diesem Beitrag vieles unerklärt lassen, weil es (noch) nur unzureichend erklärbar ist. Unzureichend erklärbar, weil zu diesem Zeitpunkt wenig darüber ausgesagt werden kann, inwiefern und in welchem Maße dieser Prozess intentional gesteuert ist bzw. wo eine Verselbständigung des Systems beginnt, wo die Grenzen zwischen Überzeugung und Mitläufertum verlaufen, wie die verschiedenen Akteure und Akteursgruppen sich zueinander verhalten.
Was man aber durchaus jedenfalls plausibel machen kann, ist, wieso das Christentum so stark ins Fadenkreuz geraten ist. Ich habe schon beschrieben, warum es mehr Hass auf sich zieht als andere Religionen. Wir müssen aber noch erklären, warum es dem neuen Kult so fundamental zuwider ist.
Dies ergibt sich aus der Ideologie, dem „Kult von Vernunft, Wissenschaft und Werten“, selbst. Denn diese kann dadurch charakterisiert werden, dass sie das Individuum verherrlicht und selbst zu einer Art Gott macht, indem es aus sich selbst machen kann, was es eben will und dabei sogar Naturgesetze aushebelt – welche Talente, welches Geschlecht, Pronomen, ja sogar welche Spezies man hat, steht nun zur Disposition, nichts ist mehr festgelegt. Dies ist gewissermaßen ein amerikanischer Traum 2.0: Jeder wird tatsächlich vom Tellerwäscher zum Millionär, wenn er nur fest genug dran glaubt – mehr als glauben muss er aber auch nicht mehr.
Das bedeutet, dass sie zugleich das Grundprinzip des amerikanischen Traums, das der Meritokratie, ausgehebelt und durch reines Setzen des Gewollten ersetzt hat, teils durch Trickserei und Augenwischerei. So werden „schwangere Männer“ in irgendeinem verwirrten Sinne zur Realität, indem man die Gesellschaft nötigt, Frauen, die eine Geschlechtsumwandlung zum Mann durchlaufen haben, als Frauen im eigentlichen Sinne anzuerkennen. Und schon passiert die Magie: Seht her, es gibt doch schwangere Männer!
Der neue Kult ist radikal individualistisch, indem es zum einen die Behauptung und Setzung jedes Individuums als ultimativ ausschlaggebend setzt und zum anderen, indem es radikal anti-sozial ist: Denn die propagierte Absolutheit des Individuums lässt sich nur realisieren, indem man allen anderen abverlangt, sich vor diesem Individuum und seinen Wünschen zu verneigen. Das mag funktionieren, wenn es einen Louis XIV. gibt; doch wenn jeder ein Louis XIV. sein will, konfligieren notwendigerweise die Interessen der absoluten Herrscher von ihrer eigenen Gnaden. Eine solche Gesellschaft kann nicht bestehen. Was also tun?
Es muss ein System geben, dass die Ansprüche der Individuen moderiert. Und genau so geschieht es auch: Das ist das bereits viel diskutierte „Modell“ der hierarchy of oppression. Natürlich handelt es sich nicht um ein formelles Modell. Es handelt sich um eine gesellschaftlich ausgehandelte Rangfolge der relativen Unterdrückung; die relative Unterdrücktheit in einem als inhärent, systemisch als böse wahrgenommenen, aus der Vergangenheit ererbten System dient der Determinierung des Sozialkapitals des Individuums. Dies führt nun natürlich zum einen dazu, dass sich die vermeintlich marginalisierten Gruppen gegenseitig kannibalisieren. Wir können schon sehen, wie die intersektionalen Kriege zwischen Frauen und Trans-Personen und verschiedenen Hautfarbtönen aufbrechen.
Das Christentum ist darum natürlich zunächst einmal mit dieser Ideologie unvereinbar, weil es über die Individuen einen allmächtigen Gott setzt. Doch in der Ideologie der Wokisten ist jedes Individuum selbst ein Gott – und das kann keinen anderen Gott neben sich, erst recht aber nicht über sich dulden.
Zudem setzt das Christentum, wie eigentlich alle größeren Religion außer vielleicht dem Buddhismus, auf feste, traditionelle gesellschaftliche Strukuren und Rollen, die im Wesentlichen von der Natur so angelegt sind. Mann und Frau bilden die Grundeinheit, die Kinder in die Welt setzen und zur Fortsetzung der Spezies beitragen. In größerem oder kleinerem Umfang kennt das Christentum jedoch auch Rollen für Menschen, die sich in diese Rollen im Laufe ihres Lebens nicht einfügen. Ende des 20., Anfang des 21. Jahrhunderts waren diese Optionen größer geworden, dem Individuum wurde also schon innerhalb der Kirchgemeinschaft mehr Spielraum eingeräumt. Zudem bietet sich heute die Option, diese Kirchgemeinschaft auch zu verlassen, etwas, dass in früheren Jahrhunderten eigentlich so gut wie unmöglich war beziehungsweise mit Entbehrungen gigantischen Ausmaßes verbunden gewesen wäre.
Grundsätzlich fungiert die Kirchgemeinschaft als überfamiliärer Zusammenhalt, der eine Gesellschaft insgesamt stützt. Dies blieb auch lange Zeit erhalten, doch natürlich wuchs mit der Größe der zusammengehaltenen Gemeinschaft und der Globalisierung auch das Potential zur Friktion. Alles Dinge, die ich hier natürlich nur sehr verkürzt anreiße und die viel detaillierter analysiert werden müssten (woraus sich sicherlich auch ein gewisses Korrekturpotential für diese Analyse ergäbe). Alles in allem erscheint es mir jedoch so, dass die Kirche bis etwa vor 20 Jahren ihr Grundgefüge noch zu erhalten geschafft hat, wenn auch (im Westen) für einen immer kleineren Kreis von Angehörigen. Zugleich gab es ein immer größeres Entfaltungspotential für das Individuum innerhalb wie außerhalb der Kirchgemeinschaft.
Doch die Idee, dass es eine irgendwie von Gott (oder der Natur) gegebene „Normalität“ in der Welt geben könnte, ist den Wokisten ein Dorn im Auge. Aus ihrer Sicht stellen alle diese Gefüge eine Bedrohung für die bedingungslose Entfaltung des Individuums dar. Das ist natürlich auch nicht verkehrt, doch sind irgendwelche Formen von Regeln und Grenzen natürlich unabdinglich für eine funktionierende Gemeinschaft, was aber die Wokisten nicht wirklich wahrhaben wollen.
Darum auch will man – ganz explizit – an die Kinder ran: Wenn man denen die Idee einer natürlichen Familiengemeinschaft und einer normalen Geschlechtsidentität im Sinne einer statistischen Normalverteilung schon im Kindergartenalter austreibt, dann, so die Idee, gehen wir ein in das Paradies der grenzenlosen individuellen Entfaltung. Und die Kirche als 2000 Jahre alte Institution steht dem natürlich diametral entgegen.
Auch darum ist das Christliche eine Art Nemesis der Wokisten. Zwar hat man die Kirche bereits weitgehend infiltriert und zersetzt, doch bleiben Reste, die man einfach nicht totkriegt. Gerade unter den Oppositionellen macht sich zudem sogar eine Rückkehr zum Christentum bemerkbar. Zum einen, weil man darin eine feste Gemeinschaft Gleichgesinnter im Widerstand ausmacht. Zum anderen, weil viele angesichts der zerstörerischen Ideen der Wokisten, die lange Zeit ungehindert den Alltag erobert haben und uns terrorisieren (ein Prozess, der mindestens in Europa noch andauert), das Gefühl haben, in den Schlund der Hölle zu blicken – und darum den Blick hilfesuchend gen Himmel wenden.
Nichts ist verheerender für einen neuen „Kult der Vernunft“, der sich dem paradoxen Glauben an das Materielle und das Messbare verschreibt und zugleich dem Hedonismus huldigt, als wenn Menschen in ihrer Verzweiflung ausgerechnet ihr Heil im Transzendenten suchen. Entsprechend ist, aus Sicht der Wokisten, das Christentum teuflisch. So teuflisch, dass allein die Erwähnung eines Begriffs, der irgendwie damit in Verbindung steht, Schaden bringen kann und man die Aussätzigen, die diese Worte in den Mund nehmen, besser meidet wie die Pest.
Zusammenfassung und Ausblick
Dass die moderne Ideologie des Westens ein Kult der Vernunft ist, ein Phänomen, das mythisch-religiöse Züge trägt, wurde so oder so ähnlich schon vielfach gesagt. Dass das Christentum aktuell stark unter Beschuss steht, ist ebenfalls bekannt. Anhand eines kurzen Beispiels habe ich versucht zu zeigen, dass diese Ablehnung mehr ist als eine bloße Diskursverweigerung: Sie liegt in dem Kult selbst begründet und hat zum einen inhaltliche Gründe (die vermeintliche Fortschreibung einer patriarchalen, weißen, oppressiven Geisteskultur sowie der Konflikt mit der Apotheose des Individuums), zum anderen wird sie schon aufgrund ihrer historischen Tiefe zum Erzfeind, den es zu beseitigen gilt.
Denn das Christentum beruht auf bestimmten natürlichen Ordnungen, die aber durch den Bezug auf Gott noch einmal eine apodiktischere Dimension bekommen: Denn mit der Natur hat es der woke Kult schon lange aufgenommen. Durch das „Follow the science“ hat man sich der Naturwissenschaften bemächtigt und setzt neue „Erkenntnisse“ in die Welt, die vermeintlich aus der Vernunft geboren sind und daher von dieser nicht mehr angezweifelt werden dürfen. Allein die Religion behält sich vor, an einer höheren Instanz der Wahrheit festzuhalten. Dies macht sie zum absolut Bösen, dass es aus Sicht der Kultisten zu zerstören gilt.
Entsprechend wird alles Religiöse mit einem Kontaktzauber belegt: Wer es antastet, auch nur ein religiöses Wort in den Mund nimmt, mit dem muss der Kontakt abgebrochen werden.